Der
schüchterne Cassian macht mehr zufällig die Bekanntschaft von Melanie. Es
scheint Liebe auf den ersten Blick zu sein. Als er dann jedoch auf Melanies
Geheimnis stößt, wird ihm sein eigenes Handicap erst richtig bewusst. Noch
verschweigt er, dass er unter dem Tourette Syndrom leidet. Wie lange kann er
seine Tics noch unterdrücken? Wie kommt er damit zurecht, dass Melanie als
Prostituierte gearbeitet hat? Kann seine explodierende Sexualität und die
Sehnsucht nach körperlicher Zweisamkeit die tief gerissenen Wunden seiner
Zwänge und Tics heilen oder zumindest lindern? Vielleicht ja, wenn da nicht
auch noch die Gesellschaft mit ihren Vorurteilen wäre.
Liebe ist der Entschluss das
Ganze eines Menschen zu bejahen,
die Einzelheiten mögen sein, wie sie wollen.
(Otto Flake)
Leseausschnitt:
Der Akkuschrauber rutschte zum wiederholten
Mal ab. Der Bit war nicht mehr der Beste. Cassian schwitzte wieder stärker. „Muuuudfuuuudfiii“, ertönte es im Verkaufsraum.
Er zuckte erschrocken zusammen und schaute sich um. Kein Kunde zu sehen.
Cassian atmete erleichtert auf.
Das war immer das größte Problem beim Aufbauen
von Ausstellungsstücken hier in der Möbelkiste. So hieß die Abteilung des
Möbelhauses für Mitnahmemöbel. Mit dem teilweise defekten Werkzeug war das
nicht immer so einfach. Und erst recht nicht, wenn die vorbeigehenden Kunden
immer wieder stehen blieben und zuschauten. Das konnte Cassian überhaupt nicht
vertragen. Und erst recht nicht seine Tics und Zwänge. Es war schon schwierig, gleichzeitig diese
blöden Aufbauanleitungen zu lesen und zu verstehen und die aufkommenden Zwänge
zu unterdrücken. Erst recht nicht, wenn man dabei beobachtet wurde. Aber was
tat man nicht alles für das liebe Geld. Und bezahlt wurde er hier gut. Es war
jetzt schon das zweite Jahr, wo er im Möbelhaus während den Semesterferien
jobbte.
Jetzt kamen doch tatsächlich einige Kunden um
die Ecke und auf ihn zu. Auch gut, die letzte Schraube war gedreht. Er räumte
schnell noch sein Werkzeug zusammen. Dann nichts wie weg von hier, zurück ins
Lager. Hier war er die meiste Zeit sein eigener
Herr. Ab und an schaute Klaus, der Azubi mal vorbei.
Hier lagerten alle die Möbel, zerlegt in
Kartons, die vorne in der Ausstellung zusammengebaut standen. Cassian gab die
gekaufte Ware bei Vorzeigen des Kassenbelegs an die Kunden heraus. Vor der
Warenausgabe, ein Schiebetor von 5 Meter Breite, war auf der linken Innenseite
ein mit Spanplatten zusammengebautes Bürohäuschen erstellt worden. Keine 2 x 3
Meter. Hier wurden die Zu –und Abgänge gebucht; hier wurden die Rechnungskopien
abgelegt.
Cassian saß im Bürohäuschen und blätterte die
Lieferscheine durch. Mike war heute auch noch überfällig. Er kam normalerweise
jeden Mittwoch kurz vor Mittag mit der Lieferung aus dem Haupthaus zur
Bestückung des Lagers.
Er kaute nervös an seinem belegten Brot.
Es war immer ein Gewaltakt, mit dem kleinen Hubwagen die zerlegten und
verpackten Möbel vom LKW ins Lager zu transportieren. Mike, der Fahrer, hatte gerade
mal 40 Minuten Zeit. Das war sehr wenig für eine Person zum Entladen. Und Mike
konnte mit seinen 73 Jahren nicht wirklich mithelfen.
Cassians Kopf fing schon wieder an, zu
zucken. Und Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. „Nur nicht daran denken.“ Und wenn dann auch noch Kunden vor dem Tor
standen und auf die Ausgabe der Möbel warteten, begannen seine Tics erst recht
zu explodieren.
Was sollte er zuerst machen. „Muuuuud,
effffff“, seine Tics und die Laute aus seinem Mund nehmen rapide zu. Er
versuchte krampfhaft, nicht mehr daran zu denken.
„Nur nicht weiter darüber nachdenken, was sein
könnte.“
Sein rechtes Bein zuckte auf und ab. „Jetzt reiß dich endlich zusammen.“ Er schlug mit der Faust auf das Bein. Ein
kurzer Schmerz und der Tic war überlagert.
„Muuufffhh“, er kämpfte innerlich wie
äußerlich in dem kleinen Bürohäuschen gegen sich selbst, gegen das verfluchte
Tourette.
„Hallo, ist da niemand?“
Cassian zuckte zusammen. Auf der kleinen
Treppe neben der Warenausgaberampe stand eine junge Frau. Als er auf sie zuging, sah er, dass aus ihrem
Kleinwagen ein weiteres Mädchen ausstieg.
„Hallo, was kann ich für Sie tun?“
„Ich möchte das hier mitnehmen“, sie gab ihm
einen Kassenbon in die Hand.
Cassian schaute zuerst auf das Papier und
dann automatisch zu dem Kleinwagen vor der Rampe. Das Mädchen dort hatte
bereits die Heckklappe geöffnet.
„Werner ist und bleibt ein Arschloch. Wieso
musste er das Ganze so provozieren und dann auch noch ausweiten.“ Cassian zwinkerte ganz leicht mit den Augen.
Melanie legte ihre rechte Hand langsam um Cassians
Nacken und spielte mit seinem Haaransatz.
„Glaubst du denn, dass mir dein Verhalten so
fremd ist, dass ich durch Werners Anspielung verunsichert oder gar geschockt
bin?“
Cassian Blick versank in Melanies kastanienbraunen
Mantelaugen.
„Dummerchen! Natürlich weiß ich von deinen
Tics. Was denkst du, was ich in meiner zweijährigen Krankenschwesterausbildung
noch so alles behalten habe? Glaubst du, der Begriff Tourette ist mir
unbekannt. Du hast mir nie davon etwas gesagt. Natürlich hattest du deinen
Grund dafür. Aber das hat mich nie gestört. Weißt du, was mich wirklich gestört
hat? Was mich aus der Bahn geworfen hat und mein Leben wirklich fast zerstört
hätte?“
Melanie liefen die Tränen in Strömen aus den
Augen. Und Cassian hatte den Mund offen stehen und glaubte nicht, was er gerade
hörte.
Erst als Melanie schwieg, kam er wieder zu
sich. Er küsste erst ihren Mund und begann dann, jede einzelne Träne mit einem
Kuss zuzudecken. Leider waren es aber doch zu viele.
„Und ich dachte, das wäre das Aus zwischen
uns!“
Sie blickte ihn jetzt trotzig an. „Jetzt hör
doch mal auf, nur an dich zu denken.“
Cassians erste Träne verschwand schneller,
als sie in seinem Auge erschien. „Was meinst du damit?“
„Was denkst du, wie ich zu dem Leben gekommen
bin, das ich im letzten Jahr gelebt habe?“
Cassian streichelte versonnen über ihren
Bauch und malte Kreise um ihren Bauchnabel. „Nachdem ich deine Eltern heute kennengelernt
habe, denke ich mir, dass ein großer Teil von ihnen verursacht wurde. Wie auch
immer.“
Melanie entspannte sich etwas und trocknete
sich mit dem Kopfkissen die Tränen. „Du kannst dir überhaupt nicht vorstellen,
was hier so alles abgelaufen ist. Gaby hatte noch Glück, dass sie einen reichen
Mann kennengelernt hat. Er ist zwar verheiratet, hat aber genug Geld, um sie
nebenbei noch auszuhalten. Inoffiziell ist sie natürlich seine Freundin, und
offiziell lebt er getrennt und will sich scheiden lassen. Meine Eltern glauben
das, was sie glauben wollen. Gaby hat mir aber klar gesagt, dass sich Klaus
niemals scheiden lassen würde.“
Melanie schwieg kurz.
„Liebst du mich?“ Die Frage von Cassian überraschte
sie im ersten Moment total.
„Meine Seele und
mein Körper gehören dir. Und nur noch dir. Das verspreche ich hoch und heilig!“
Cassian war geschockt. Er war absolut überrumpelt
von dieser Hingabe. „Muuufgguu“, und bevor er noch weitere Laute von sich geben
konnte, stillte Melanies Zunge in seinem Mund alle Tics und Zwänge.
Sie wischte Cassians Tourette einfach
beiseite. Als ihre Zungen sich voneinander trennten, waren die Tränen in ihren
Gesichtern zu kleinen Bächen geworden und ein Seufzen entwich beiden.
Cassians Hand lag immer noch zwischen Melanies
Schoss und er wagte nicht sie zu bewegen.
„Und du?“, kam leise ihre Gegenfrage.
Sie schauten sich beide in die verweinten
Gesichter.
„Über alles!“ Mehr konnte Cassian nicht von
sich geben.
Sie schlangen ihre Arme umeinander und blieben
mehrere Minuten so eng umschlungen liegen.
In Cassians Kopf rauschte es immer stärker.
Er sah leicht verschwommen, wie Melanie sich wieder aufsetzte und sich das
verweinte Gesicht mit einem Handtuch aus der Reisetasche trocknete. Leseausschnitt Ende
Produktdetails
E-Book
Autor: Kelvin Waiden
Seitenzahl: 155
2015
Deutsch
ISBN-13: 9783957452795
Produktdetails
Broschiertes Buch
Autor: Kelvin Waiden
Seitenzahl: 164
2. Aufl.
2015
Abmessung: 190mm x 120mm x 11mm
Gewicht: 180g
ISBN-13: 9783957452900
Deutsch
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